Text von Aleyd von Gartzen, kommissarische Beauftragte für Stillen und Ernährung in Niedersachsen und ehemalige Beauftragte des DHV.
Hebammen sind die wichtigsten Ansprechpartnerinnen für Eltern in den ersten Lebenswochen ihres Kindes und haben dadurch großen Einfluss auf die Entscheidungen der Eltern, auch wenn es um die Ernährung des Babys im ersten Lebensjahr geht. Daraus folgt: Hebammen sind äußerst interessant als Kontaktpersonen für die Werbebotschaften der Babynahrungsindustrie. Und das lassen die Firmen sich durchaus etwas kosten. Zum Beispiel Fortbildungen. Diese werden gern besucht, da sie meist kostenfrei angeboten werden und oft auch mit einem umfangreichen Catering verbunden sind. – Hier können die Anbieter einfach mit Hebammen ins Gespräch kommen und sich vernetzen.
Der WHO-Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten rät dringend davon ab solche Angebote anzunehmen. Interessenskonflikte sind vorprogrammiert. Selbst durch kleine Geschenke (von der Industrie) tappt man unwillkürlich in die sogenannte Dankbarkeitsfalle: Die Beschenkte (Hebamme) meint dem Schenker (Industrie) etwas schuldig zu sein. Ein Gefühl, das nicht bewusst wahrgenommen wird, sondern unbewusst bleibt und deshalb umso wirkungsvoller ist. Wenn auf einer Veranstaltung die Firma XY, nennen wir sie mal Nestlé, dann nicht nur mit einem Stand und vielleicht Catering, sondern auch noch mit einem Redebeitrag vertreten ist, wird es für die Teilnehmenden besonders schwierig eine gewisse Objektivität zu wahren.
Bei einer Veranstaltung in Hannover zur Vorstellung des entstehenden Mutter-Kind-Zentrums auf der Bult (Sponsor Nestlé), pries der Referent (Direktor des Nestlé Nutrition Instituts) die synthetisch hergestellten Humanen Oligosaccharide (HMO) an, die mittlerweile in einigen hochpreisigen (Nestlé) Formula enthalten sind. Dabei erwähnte er nicht, dass die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin zu diesen HMOs vor einiger Zeit eine Stellungnahme veröffentlicht hat, in der Folgendes zu lesen ist. „Die Verwendung von Begriffen wie „Humane Milch-Oligosaccharide“ und darauf verweisende Abkürzungen wie „HMO“ bei der Bewerbung von Säuglingsnahrung stellen eine unzulässige Idealisierung dar, die eine nicht bestehende Ähnlichkeit mit dem Stillen suggerieren und damit der Priorität der Förderung des Stillens entgegenwirken können.“
Im selben Vortrag ging es auch um HA-Nahrungen. Es wurde behauptet, dass es nach wie vor Nahrungen gibt, die allergiepräventiv wirken. In der Gini Studie, von der sicherlich schon fast alle Hebammen gehört haben, wäre der Nachweis erbracht worden. Stand der Dinge ist jedoch, dass es mittlerweile keine einzige Nahrung gibt, deren Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte. Deshalb dürfen diese Nahrungen laut Gesetz auch nicht mehr als hypoallergen bezeichnet werden. Anhand dieser Beispiele möchte ich deutlich machen, wie leicht es für die Formula-Industrie ist, Einfluss auf Hebammen zu nehmen. Das geschieht auf der einen Seite mit Hilfe der „Dankbarkeitsfalle“, in die sie hineintappen, auf der anderen Seite durch die Verbreitung von scheinbar evidenzbasierten wissenschaftlichen Vorträgen, die in Wirklichkeit nichts anderes sind als gut verkappte Werbeveranstaltungen.
Ohne einen Einblick in die aktuelle Studienlage – und wer hat schon die Zeit und Lust sich umfangreich damit zu beschäftigen – haben es die TeilnehmerInnen auf solchen Fortbildungen schwer den Wahrheitsgehalt der Aussagen einzuschätzen und können den Werbungen leicht auf den Leim gehen.
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