Kinder wachsen heute immer seltener mit Geschwistern auf und erleben weniger Schwangere und Stillende im familiären Umfeld. Informationsquellen sind oft das Internet und Social Media, was einen starken Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit hat. Durch weniger alltäglichen Kontakt von Kindern mit Schwangerschaft, Geburt, Neugeborenen und Stillenden entstehen Lücken im Erfahrungswissen der Kinder. Wenn Hebammen von den Lehrer:innen aufgrund persönlicher Kontakte als Ergänzung zum Unterricht in die Schule eingeladen werden, ist die Resonanz darauf meist sehr positiv. Das Wissen um die natürlichen Prozesse bewirkt eine Stärkung der Kinder für ihr weiteres Leben und es werden die Weichen für die Gesellschaft von morgen gestellt, in der die Phase der Familienwerdung durch die gesamte Gesellschaft unterstützt wird.
In einem Pilotprojekt in Kassel besuchten Hebammen 3. und 4. Schulklassen mit dem Ziel der Vermittlung der Themen im Betreuungsbogen der Hebammentätigkeit:
In der Auswertung der Befragung vor und nach dem Projekt wird die Sinnhaftigkeit des Projektes deutlich: beispielsweise haben Geschwisterkinder mehr Angst vor dem Elternwerden, als Einzelkinder. Nach dem Hebammenunterricht sank die Angst von 36,3 % auf 25,7 %.
Aus diesen guten Ergebnissen des Pilotprojektes Hebammen in der Schule in Kassel sahen wir den Anlass, ein solches Projekt in Niedersachsen zu installieren. Da Niedersachsen ein großes Flächenland ist, fokussieren wir uns zunächst auf die Städte Celle und Oldenburg.
In der Vorbereitungsphase finanzierte der Hebammenverband Niedersachsen e.V. eine Fortbildung für Hebammen zum Thema. Das Konzept der Unterrichtsstunden wurde erstellt. Zum Aufbau von Strukturen nahm der HVN zu den Grundschulen in den Städten Celle und Oldenburg Kontakt auf und informierte über das Angebot. In einem Steuerungsgremium sind neben der 1. Vorsitzenden des HVN jeweils eine Hebamme in den Städten vertreten, die die Koordination der Hebammen vor Ort vornehmen. Eine wissenschaftliche Begleitung des Projektes wird erfolgen. Die beteiligten Hebammen vernetzen sich im Sinne eines Vertretungszirkels vor Ort.
Alle 4. Klassen in der Stadt Celle und der Stadt Oldenburg bekommen 4 Stunden Hebammenunterricht (2x2UE) im Schuljahr 2024/2025. Nach einigen Wochen finden zur Verfestigung der Lerninhalte weitere 2 Unterrichtsstunden statt. Der Zeitpunkt vor der eigenen reproduktiven Lebensphase der Kinder ist gut gewählt, da sich die Kinder unbelastet interessiert am Thema zeigen.
Folgende Inhalte werden im Unterricht vermittelt:
Das Projekt Hebammen in der Schule fördert durch den Wissenszuwachs die Selbstwirksamkeit und stärkt positive Emotionen zu Schwangerschaft und Geburt sowie Körperbewusstsein und -vertrauen. Die Förderung dieser Lebenskompetenz hilft den Kindern, ihre Eigenverantwortung zu erkennen und zu stärken. Das Projekt Hebammen in der Schule zeigt als Kernintentionen der lebens- und arbeitsweltbezogenen Prävention und Gesundheitsförderung insbesondere die Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Menschen durch die Stärkung der psychosozialen Gesundheitsressourcen auf. Mit dem Wissen um die natürlichen Prozesse werden Kinder für ihre spätere reproduktive Lebensphase gestärkt.
Diese Form der Schulung mit der Intention der Stärkung der Kinder findet bisher nicht im Schulwesen statt. Die Implementierung des Projektes in Grundschulen und die zu erwartenden positiven Ergebnisse der begleitenden Evaluation bieten eine Grundlage, um dieses Pilotprojekt niedersachsenweit und in anderen Schulformen zu installieren.
Vom 05.04.-07.04. fand in Verden die Fortbildung für die teilnehmenden Hebammen der Hids-Projekte statt. Diese Kolleg:innen werden in Oldenburg und Celle die vierten Klassen an Grundschulen besuchen. An der Fortbildung teilgenommen haben zudem Michelle Rump (1.Vorsitzende Landesverband NRW) und Iris Labatz aus Lüneburg.
Während der dreitägigen Fortbildung wurde durch Professorin Lea Beckmann Themen zu Methodik und Didaktik ganz praktisch vorgestellt, indem verschiedene Materialien und Zugänge demonstriert wurden. Susanne Schulz-Ille thematisierte am zweiten Tag mit den Teilnehmenden nicht nur die eigene Einstellung zur Sexualität, auch wurde das Thema geschichtlich beleuchtet und die Entwicklung bei Kindern/Jugendlichen bis hin zum Erwachsenenalter beleuchtet. Elisabeth Linka stellte die mögliche Unterrichtsgestaltung mit Spielen und Singen vor. Am Tag drei berichtete Karen Lang ebenfalls viel aus ihrer Erfahrung inkl. Wichtigkeit des Vorgesprächs mit den Lehrkräften. Es wurden in Rollenspielen die verschiedenen Inhalte zu Themen des Unterrichts praktisch erprobt.
Die ersten Schulbesuche im Rahmen des Hids-Projekts haben im Juni bereits stattgefunden: Zwei Klassen der Grundschule auf der Wunderburg in Oldenburg wurde von Hilke Schauland und Silja Gorschlüter-Flerlage (auf dem Bild mit zwei Fachlehrerinnen der Klassen) und Yasmin Helgers besucht. Hier konnte unser erstelltes Unterrichtskonzept, sowie das erstellte Material zum ersten Mal in der Praxis getestet werden. Die Fortbildung zum Projekt wurde in Absprache mit dem DHV angepasst und wird inzwischen konkret in einer weiteren Region geplant.