Statement des Netzwerk Geburtshilfe Niedersachsen: Mehr als die Hälfte der über 67000 Geburten in Niedersachsen findet in den Kliniken der Versorgungsstufen drei und vier (Level III & IV) statt. Die Vorgaben des niedersächsischen Krankenhausgesetzes und die Krankenhausreform im Bund wirken auf eine weitere Zentralisierung der Geburtshilfe hin.
Für Niedersachsen als Flächenland mit vielen geburtshilflichen Abteilungen ist in der Öffentlichkeit bisher kein konkreter Plan bekannt, wie die Versorgung in Zukunft strukturiert werden soll. Die Strukturvoraussetzungen aus dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) werden jedoch derzeit in den Kliniken bereits abgefragt. Nach der bisherigen Planung sind für jede Fachgruppe drei Vollzeit-Facharztstellen zu besetzen. Das bedeutet, dass sowohl die Geburtshilfe als auch die Gynäkologie eine Besetzung mit jeweils drei Facharztstellen benötigt. Eine Trennung von Gynäkologie und Geburtshilfe ist auch im Hinblick auf die Notfälle in der Geburtshilfe sicher problematisch. Falls die Fachgebiete Geburtshilfe und Gynäkologie nicht übergreifend mit Facharztstellen besetzt werden können, würden nahezu 50% der Kliniken nur noch eins der beiden Fachgebiete anbieten dürfen.
Vorgesehen ist für Kliniken der Versorgungsstufe drei und vier in Zukunft, dass nur noch Basis Geburtshilfe und Basis-Gynäkologie geleistet werden soll. Hierzu muss es ein strukturiertes, einheitliches, klinikübergreifendes Konzept für die Aus- und Weiterbildung von ärztlichem Personal und Hebammen geben. An Kliniken der Versorgungsstufen drei und vier kann sonst in Zukunft keine Facharztkompetenz erworben werden. Entsprechend unattraktiv werden sie als Arbeitsplätze sein, wenn nicht die Rotation in ein Zentrum verbindlich geregelt ist. Für die Weiterbildung der Assistenzärzt:innen liegt bisher kein Konzept vor.
Als Vertreter:innen der Geburtshilfe-Abteilungen der Versorgungsstufen drei und vier sehen wir bereits jetzt gewaltige Probleme, da die Zusammenarbeit der Kliniken mit den Perinatalzentren, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, in keiner Weise geregelt ist.
Die großen Zentren gelangen bereits heute häufig an ihren Kapazitätsgrenzen, können die Risikoschwangeren oft nicht aufnehmen und kämpfen insbesondere im Bereich der Hebammen mit großem Personalmangel und einer daraus resultierenden zu hohen Arbeitsbelastung. Eine Eins-zu-eins Betreuung kann deutlich seltener ermöglicht werden als in Häusern der Versorgungsstufen drei und vier. Zudem fehlen Regelungen zur überregionalen Zusammenarbeit z.B. an den Landesgrenzen zu Bremen und Nordrhein-Westfalen.
Die Perinatalzentren müssen entsprechend der Vorgaben in den Leitlinien „Vaginale Geburt am Termin“ und „Kaiserschnitt“ Schwangeren eine kompetente Betreuung bei Risikogeburten z.B. aus Beckenendlage oder Zwillingsgeburten anbieten. Dies ist derzeit nicht der Fall. An einigen Perinatalzentren wird diesen Schwangeren ausschließlich die Geburt durch Kaiserschnitt angeboten.
Standardisierte Trainings- und Fortbildungsveranstaltungen für geburtshilfliche Teams, analog dem dänischen Fortbildungskonzept, sind die Voraussetzung dafür, dass in einer Region überall nach den gleichen Standards gearbeitet wird und vergleichbare Kompetenzen erworben werden.
Wenn, wie derzeit der Fall, die Zentralisierung durch Kliniksterben abgewartet anstatt strukturiert geplant wird, wird es in wenigen Jahren große Lücken in der flächendeckenden Versorgung mit Geburtshilfe geben.
Unsere Forderungen:
Geburtshilfe und Gynäkologie müssen fachübergreifend Fachärzt:innen einsetzen können.
Die Struktur der geburtshilflichen Versorgung muss entsprechend der Vorgaben durch die vom GBA herausgegebene Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene/QFR- RL §5 (1;2) geklärt und verbindlich abgesichert werden. Hierzu sind Verlegungskonzepte, eine gesicherte Übernahme und ein sicherer Transport zu gewährleisten. Eine Übernahme muss durch das nächstgelegene Perinatalzentrum zugesichert werden, gegebenenfalls ist nach Risikoeinschätzung ein Sekundärtransport durch das Perinatalzentrum zu organisieren. Eine Verzögerung durch eine langwierige Suche eines aufnahmebereiten Perinatalzentrums muss vermieden werden.
Durch Kooperationsverträge müssen alle Kliniken in regionale Netzwerke eingebunden sein. Hierin werden einerseits die Übernahme von Schwangeren und Neugeborenen, andererseits die Rotation von Ärzt:innen und Hebammen im Rahmen der Ausbildung vereinbart.
Die durch Leitlinien der Fachgesellschaften erstellten Behandlungsstandards müssen flächendeckend unter Beachtung der Level-Zuordnung umgesetzt werden, um allen Schwangeren eine adäquate Betreuung zu ermöglichen (z.B. spontane Beckenendlagen geburten, spontane Zwillingsgeburten)
Die Qualitätskriterien müssen um Parameter erweitert werden, welche die vorgegebene Versorgungsstruktur und durch Leitlinien vorgegebene Behandlungsstandards abbilden. Die Qualitätsberichte müssen diese Parameter enthalten. Die Berichte müssen öffentlich sein.
Sprecher:innen des Netzwerks Geburtshilfe: Dr. Christoph Reiche, Dr. Katharina Lüdemann, Veronika Bujny, Hilke Schauland